Nachruf: Theodor Bergmann

(7.3.1916-12.6.2017)

Am 12. Juni verstarb das älteste Mitglied des Förderkreises Archive und
Bibliotheken, Prof. Dr. Theodor Bergmann, im 102. Lebensjahr. Mit seinem Tod bricht die personelle Verbindung zur Arbeiterbewegung der Weimarer Republik ab, deren letzter Akteur und Zeitzeuge er war.

Theodor Bergmann an seinem 100. Geburtstag, März 2016 CC BY 3.0, Alexander Schlager (RLS)
Theodor Bergmann an seinem 100. Geburtstag, März 2016 CC BY 3.0, Alexander Schlager (RLS)

Geboren am 7. März 1916 in Berlin in der vielköpfigen Familie eines
Rabbiners, kam er 1929 zur kommunistischen Bewegung, aber nicht zur KPD. Stattdessen schloss er sich der Stalin-kritischen KPD-Opposition, der KPO, um Heinrich Brandler und August Thalheimer an. Dieser politischen Entscheidung ist er ein sehr langes Leben treu geblieben.
1933 musste der Siebzehnjährige ins Exil – Palästina, die Tschechoslowakei und Schweden hießen die Stationen. Das Leben war hart und gefahrvoll, zweimal entkam er den Nazihäschern nur sehr knapp. 1946
kehrte er nach Westdeutschland zurück. Ostdeutschland war für ihn keine Alternative. Politisch fand Theo Bergmann in der Gruppe „Arbeiterpolitik“, privat in seiner Genossin Gretel Steinhilber, die ebenfalls aus der KPO kam, seinen Halt.

Sein im Exil aufgenommenes und zwangsweise unterbrochenes Studium der Landwirtschaft schloss er 1947 in Bonn ab, aber an eine wissenschaftliche Laufbahn war noch lange nicht zu denken. Als ungelernter Arbeiter im Metallbetrieb, später unter anderem in der Landwirtschaftskammer Hannover, absolvierte er Promotion und Habilitation ohne größere Unterstützung fast „nebenbei“. Erst 1973 wurde er in Stuttgart-Hohenheim Professor für International vergleichende Agrarpolitik. 1981 trat er in den (Un-)Ruhestand.


Seitdem wurde die Geschichte und Politik der Arbeiterbewegung zu seinem Hauptforschungsfeld. Seine Geschichte der KPO, „Gegen den Strom“, 1987 zuerst und dann in mehreren erweiterten Auflagen erschienen, wurde ein Standardwerk. Er war, zusammen mit seinem Kollegen und Freund Gert Schäfer, Initiator einer Reihe internationaler Konferenzen zur Geschichte und zu aktuellen Problemen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Es begann mit Tagungen über Karl Marx und August Thalheimer 1983 und 1984 im Stuttgarter Raum und endete 2004 mit einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Gesellschaft im chinesischen Guangzhou/Kanton. Dazwischen lagen Konferenzen über Trotzki, Bucharin, Lenin, die russischen Revolutionen, Friedrich Engels. Über sechzig Bücher als Autor und Herausgeber sowie viele Hundert Aufsätze, die auf fünf Kontinenten erschienen, zeugen von Theo Bergmanns Schaffenskraft. Er war ein wahrer sozialistischer Weltbürger:
Theo Bergmann schrieb und dolmetschte in fünf Sprachen, las ein halbes Dutzend weitere. Auf eigene Kosten reiste er vierzehnmal nach China. Noch öfter bereiste er Israel, mehrmals auch Indien, Pakistan und viele weitere Länder.


Es nimmt nicht Wunder, dass die DDR seine Bücher zur Konterbande erklärte. Umso selbstverständlicher war es für ihn, ab 1990 auch solchen „abgewickelten“ DDR-Wissenschaftlern zur Seite zu stehen, die ihn einst als „Revisionisten“ hatten bekämpfen müssen. Er trat der PDS bei, leitete zeitweise ihren Landesverband Baden-Württemberg und
blieb bis zum Lebensende in der politischen Bildungsarbeit in der Partei und darüber hinaus aktiv. Besonders gern sprach er vor Schulklassen, die ihn auch oft einluden, denn ein solches Leben stieß bei den Nachgeborenen auf enormes Interesse. Aus seiner so reichen wissenschaftlichen wie politischen Hinterlassenschaft lässt sich weiterhin viel lernen.


Mario Kessler

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