Nachruf Peter Sodann

1. Juni 1936 in Meißen; † 5. April 2024 in Halle

Nachruf der Genossenschaft Peter-Sodann-Bibliothek eG „… wider dem vergehen“

Peter Sodann ist am 5. April im Alter von 87 Jahren für immer von uns gegangen. Ein rast- und ruheloses Leben fand ein Ende. Der Krankheit konnte er nicht mehr genug entgegensetzen. Die Kraft seines Lebens war aufgebraucht. Die Peter-Sodann-Bibliothek eG ,  deren Gründungsvater er war, verliert mit ihm nicht nur ihren Ehrenvorsitzenden, sondern viel mehr: ihren Ideengeber, Büchersammler und Bücherfreund, einen Antiquar und Arbeitgeber. Vieles hat er in seinem Leben angefangen und geschaffen, das der Nachwelt erhalten und in Erinnerung bleibt. Film, Fernsehen, Theater, Bibliothek sind vergegenständlichte Zeugen seines Wirkens.  

Peter Sodann war ein Schauspieler und Kabarettist von hoher Popularität. Aber es bedurfte auch besonderer Eigenschaften, um eine Buchsammlung zu schaffen, die bis heute anwächst. Peter Sodann war energisch, authentisch,  beharrlich, unmittelbar, herausfordernd und konsequent. Und es bedurfte einer besonderen Liebe zu den Büchern seines bisherigen Lebens, zu den Büchern seiner Zeit, die ab 1989 immer weniger Wertschätzung und Interesse erfuhren.

Staucha wurde fast Pilgerstätte zu dem berühmten Schauspieler. Peter Sodann wusste auch hier die Bühne zu betreten und auf Menschen zuzugehen, die seine Worte erwarteten. Er ging gern ins Gespräch, provozierte, sprach in Schlagzeilen – und war trotzdem in allem vielschichtig. Nie vergaß er zu erinnern, dass seine Sammlung an Büchern aus „weggeworfenen“ Büchern bestand. Dies war der Anfang, als er containerweise die zur Vernichtung preisgegebenen Bücher aus Verlagen der DDR rettete. Später wussten Menschen, dass er ihre Bücher und Buchsammlungen bewahren würde, wenn es ihnen selbst nicht mehr gelang.  Hier fanden sie einen Verbündeten, der in der Wendezeit den zu erwartenden Verlust an Schriftgut mehr fühlte als den Gewinn in der neuen Zeit. Den Schmerz darüber mit seiner Sammelleidenschaft für Bücher zu verbinden war genial. Entstanden ist ein Werk von weltweiter Einmaligkeit – die Peter-Sodann-Bibliothek.
Sie macht Peter Sodann mehr als populär. Sie macht ihn unsterblich. Das Sammelgebiet „Ostdeutsches Schriftgut“ nach dem Ordnungsprinzip der Verlage der DDR und der Sowjetische Besatzungszone, entstanden zwischen Mai 1945 und Oktober 1990, ist ein unvergleichbares Alleinstellungsmerkmal.  250 000  Exemplare zählt die Sammlung inzwischen und Millionen Bücher warten auf Sichtung und Sortierung.

Das Vermächtnis, welches Peter Sodann der Genossenschaft seiner Bibliothek hinterlässt, ist groß. Es bedarf intensiver Arbeit. Dessen sind wir uns, der Aufsichtsrat und der Vorstand der Genossenschaft, bewusst. In seinem Sinne wollen und werden wir diese große Aufgabe weiterführen.

Angewiesen ist die Peter-Sodann-Bibliothek  auf gesellschaftliches und politisches Wohlwollen – und auf die finanzielle Zuwendung vieler Spenderinnen und Spender.

Bitte unterstützen Sie das Werk von Peter Sodann auch weiterhin.

Spendenkonto: Sparkasse Meißen IBAN DE81 8505 50000500 1566 20

Auch im Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Genossenschaftsmitglieder.

Bernd Pawlowski        Dr. Hansi-Christiane Merkel              Heiko Isopp
Aufsichtsrat                Vorstand                                             Vorstand

Nachruf Klaus Höpcke (27.11.1933-14.10.2023)

Inge Pardon hat in ihrem Erinnerungsbericht – verfasst für die Festschrift 20 Jahre
Förderkreis – festgehalten, dass der erste Verantwortungsträger, den sie für die
Gründung unseres Förderkreises gewonnen hat, Klaus Höpcke war. Mit seinem
Tode haben wir also einen der Gründungsväter unseres Vereins verloren.

Höpckes Gesamtlebenswerk hat anderenorts seine Würdigung erfahren. Wir wollen
es hier bei seinen Verdiensten auf unserem gemeinsamen Tätigkeitsbereich
belassen. Klaus Höpcke, der zu den Einberufern des Außerordentlichen Parteitages
gehörte, mit dem der Erneuerungsprozess von der SED zur Partei des
demokratischen Sozialismus eingeleitet wurde, erschloss sich nunmehr ein ganz
neues Arbeitsfeld. Da er im neugewählten Parteivorstand die Leitung der Kommission
Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik übernahm, erwuchs ihm ein
hohes Maß an Verantwortung für die wissenschaftlichen Institutionen seiner Partei,
nicht zuletzt für die Bewahrung des Zentralen Parteiarchivs und die mit ihm
verbundene Bibliothek, für die Weiterführung der Marx-Engels-Gesamtausgabe.
Von ihm und von Günter Benser wurde die Vorlage für den Beschluss eingereicht,
mit dem das Präsidium des Parteivorstandes die Umbildung des Instituts
für Marxismus-Leninismus in das Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung
bestätigte.

Am meisten bedroht sah sich das Zentrale Parteiarchiv. Der am 6. März 1991
gegründete Förderkreis Archiv und Bibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung
– so lautete zunächst der Vereinsname – wollte sachkundige angesehene
Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland gewinnen, die dem Ringen um die
Einbindung von Archiv und Bibliothek in zukunftssichere Strukturen Rückhalt
und Kompetenz zu verleihen vermochten. Das ist dank des Wirkens des Vereinsvorsitzenden
Henryk Skrzypczak auch in beeindruckendem Maße gelungen.
Klaus Höpcke, der von März bis Oktober 1990 der Volkskammer der DDR angehörte,
hat seinen Beitrag als Parlamentarier geleistet und ist im Gleichklang mit
dem Förderkreis unermüdlich Versuchen der Enteignung oder Aufsplitterung der
Bestände entgegengetreten.


Als die Zeit herangereift war, um zwischen den Vertretern des Ministeriums des
Innern sowie des Bundesarchivs und den Bevollmächtigten der PDS die Konditionen
für eine dauerhafte Lösung auszuhandeln, gehörten neben dem Parteivorsitzenden
Gregor Gysi und Klaus Höpcke auch die Leiterin des Zentralen Parteiarchivs
und Initiatorin unseres Förderkreises auch dessen Vorsitzender Henryk Skrzypczak
zu den Verhandlungspartnern. So kam der schließlich von Gregor Gysi und Klaus Höpcke unterzeichnete Vertrag über die Einbringung von Archiv, Bibliothek
und Technischen Werkstätten in die unselbständige Stiftung Archiv der
Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv (SAPMO-BArch) zustande.
Klaus Höpcke hat in seiner Doppelfunktion als Vertreter der PDS und als unser
Vereinsmitglied dazu seinen konstruktiven Beitrag geleistet. Aus Tagebuchnotizen
Skrzypczaks und Erinnerungen Höpckes lässt sich entnehmen, wie in beider
Zusammenarbeit gegenseitiger Respekt zwischen dem Westberliner Sozialdemokraten
und dem langjährigen Partei- und Staatsfunktionär der DDR gewachsen
ist und sich eine dauerhafte Freundschaft anbahnte.

Klaus Höpcke hat, solange es sein Gesundheitszustand erlaubte, aktiv in unserem
Förderkreis mitgewirkt und dessen Versammlungen mit nützlichen Informationen
und wertvollen Anregungen bereichert. Im Kuratorium der SAPMO-BArch,
dem er fasst drei Jahrzehnte lang angehörte, hat er nicht nur die Verbindungen
zwischen Förderkreis und Stiftung gepflegt, sondern auch Sorge getragen, dass bei
allen Entscheidungen der Satzung der Stiftung und den abgeschlossen Verträgen
Rechnung getragen wird.

Mit unserer Trauer verbindet sich der Dank an unseren Weggefährten Klaus Höpcke.
Günter Benser

Nachruf Gerd Callesen

10.11.1940 – 9.11.2023

Kurz vor seinem 83. Geburtstag starb in Wien der langjährige Bibliotheksleiter des Kopenhagener Arbeiterarchivs (ABA), Gerd Callesen, der dort von 1970 – 2002 als Forschungsbibliothekar nicht nur die dänische „Gesellschaft für Forschungen zur Arbeiterbewegung“ mit aufbaute. Auch die IALHI war ihm eine Herzensangelegenheit. Er versuchte Einrichtungen, die sich diesem Spezialgebiet der Geschichte widmeten, international miteinander zu vernetzen, z. B. durch Dublettenaustausch oder durch Hilfsmittel wie die 2001 erschienene Bibliografie „Socialist Internationals“, die IALHI und Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam veröffentlichten.
Callesen hatte 1970 mit einer Arbeit über „Die Schleswig-Frage in den Beziehungen zwischen deutscher und dänischer Sozialdemokratie“ promoviert, die er „Ein[en) Beitrag zum sozialdemokratischen Internationalismus“ nannte.

Sein Spezialgebiet war allerdings die Marx-Engels-Forschung. Bereits 1973 hatte er den Briefwechsel zwischen Friedrich Engels und dem dänischen Sozialisten Gerson Trier publiziert, und als die MEGA Gestalt annahm, suchte er ihr Erscheinen möglichst bekannt zu machen. Allein ab 2000 brachte die kommunistische Tageszeitung Arbeijderen 50 Beiträge von ihm zum Thema heraus. Ab 1997 arbeitete er selbst an einem Briefband, der schließlich 2014 erschien (MEGA III/30). Der davorliegende Band III/29, an dem er mit Georg Fülberth gearbeitet hatte, konnte leider nicht mehr in Buchform erscheinen.

Seit August 2004 wohnte Gerd in Wien, wo er mit dem dortigen „Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung“ den
Briefwechsel zwischen Victor Adler und Friedrich Engels neu herausgab. Bereits 1990 war er einer der Ersten gewesen, die sich in der BzG Gedanken gemacht hatten, wie es mit dem IML weitergehen könne. Zum „Förderkreis“ gehörte er von
Anfang an, und als 2009 das Buch „Bewahren – Verbreiten – Aufklären“ erschien, waren dort auch zwei Beiträge von ihm zu finden.


Ein Unfall im Sommer 2020 zwang ihn, sein „Workaholic“-Leben aufzugeben
und nur noch sporadisch einzugreifen, wo es ihm nötig erschien. Die internationale Geschichtswissenschaft verliert mit Gerd Callesen einen stets hilfsbereiten Kollegen, dessen Wissen uns fehlen wird.


Peter Mönnikes (Paderborner Archiv zur Geschichte der Arbeiterbewegung)

Nachruf Dr. Jürgen Stroech

2. November 1930 in Swinemünde; † 31. Juli 2023 in Berlin


Am 31. Juli 2023 verstarb nach langem, schwerem Leiden Dr. Jürgen Stroech.
Er war Gründungsmitglied des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung und blieb unserem Verein stets eng verbunden, auch wenn seine Erkrankung in den letzten Jahren ein aktives Mitwirken nicht
mehr gestattete.


Jürgen Stroech wurde am 2. November 1930 in Swinemünde (dem heutigen Swinouisce) geboren. In den ersten Nachkriegsjahren kam er nach Halberstadt, wo er auch sein Abitur ablegte. Nach zwei Jahren an der Pädagogischen Hochschule und einem Sonderlehrgang am Zentralinstitut für Bibliothekswesen studierte er im Fernstudium Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin und erreichte1961 den Abschluss als Diplomhistoriker. 1974 promovierte er über das Thema „Die illegale Presse – eine Waffe im Kampf gegen den deutschen Faschismus“.


Bereits 1950 wurde Jürgen Stroech Mitarbeiter in der Bibliothek des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED und Stellvertreter von Professor Bruno Kaiser. Nach dessen Ausscheiden übernahm er 1972 die Leitung der
Bibliothek. Er setzte die von Bruno Kaiser begonnene Sammlung von Literatur zum Marxismus-Leninismus und zur Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung erfolgreich fort, so dass im Laufe der Jahrzehnte eine
wissenschaftliche Spezialbibliothek entstand, die im deutschsprachigen Raum keine Vergleiche scheuen musste. Weit über die Institutsbibliothek hinaus nahm er Einfluss auf das Bibliothekswesen der DDR. Unter anderem war er Mitglied des
Präsidiums des Bibliotheksverbandes. Seine Leistungen wurden durch die Verleihung des Titels Bibliotheksrat im Jahr 1972 und des Oberbibliotheksrates im Jahr 1988 gewürdigt. Er erwies sich als umsichtiger Bibliotheksleiter und in seiner wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit als exzellenter Kenner seines Spezialgebietes, der illegalen antifaschistischen Presse. In den Jahren nach 1990kämpfte Dr. Stroech gemeinsam mit namhaften Mitstreitern um den Erhalt der
Bibliothek, die schließlich gemeinsam mit dem Archiv Teil der Stiftung Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Bundesarchiv wurde.


Dagmar Goldbeck

Nachruf Barbara Kontny

1. März 1943 – 19. Mai 2023

Am 19. Mai 2023 starb kurz nach Vollendung ihres 80. Lebensjahres Barbara Kontny, Mitglied unseres Förderkreises seit seiner Gründung und viele Jahre Kassenprüferin in unserem Verein.


Bärbel studierte nach dem Abitur Bibliothekswissenschaft – Nebenfach Kulturwissenschaften – an der Humboldtuniversität in Berlin und bestand im Juli 1967 erfolgreich das Staatsexamen. Im gleichen Jahr begann ihre Tätigkeit als
wissenschaftliche Bibliothekarin in der Bibliothek des Instituts für MarxismusLeninismus, zunächst als Referentin für Sacherschließung. Später wechselte sie ihr Arbeitsfeld und entwickelte sich zur Spezialistin für die Periodika der deutschen
Arbeiterbewegung. Sie wurde Stellvertreterin und 1983 Leiterin des Sektors Zeitungen und Zeitschriften. Ihr besonderes Interesse galt den Problemen des kulturellen Erbes der Arbeiterklasse. Ab 1980 beschäftigte sie sich vorrangig mit der
Rekonstruktion und Erfassung aller in Bibliotheken und Archiven vorhandenen Bestände des Zentralorgans der KPD „Rote Fahne“ (1918 bis 1933) sowie deren Sicherung und Mikroverfilmung.

Seit der Errichtung der Stiftung Archive und Bibliotheken der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) im Bundesarchiv 1993 war Bärbel bis
zu ihrem Eintritt in den Ruhestand 2006 als Leiterin des Referats Erschließung in
der dortigen Bibliothek tätig

Mit Bärbel Kontny verlieren wir eine kluge und sehr zuverlässige Kollegin, die
die Arbeit des Vorstandes unseres Vereins stets nach Kräften aktiv unterstützte.
Dagmar Goldbeck

Abschied von Dr. Reiner Zilkenat

Foto: Ingo Müller

Abschied von Dr. Reiner Zilkenat

Dr. Reiner Zilkenat (20. Mai 1950 – 26. Februar 2020). Ein Historiker und Antifaschist mit Leib und Seele ist von uns gegangen.  Nekrolog für die „BzG“ vom 19. März 2020

Am 26. Februar 2020 verstarb plötzlich und unerwartet unser Freund und Kollege Dr. Reiner Zilkenat wenige Monate vor Vollendung seines 70. Lebensjahres. Mit Reiner Zilkenat verliert der Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung seinen ehemaligen und langjährigen Vorsitzenden. Von 2011 bis 2018 lenkte er die Geschicke unseres Vereins, und man muss uneingeschränkt sagen: zum Guten.

Seine wissenschaftliche Kompetenz erwarb er im Westen wie im Osten des geteilten Berlins. Das erklärt sich daraus, dass er in der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins seine politische Heimat gefunden hatte. Von 1970 bis 1976 studierte er an der Freien Universität Berlin Geschichte und Politikwissenschaften. In seiner Magisterarbeit hat er sich mit dem Flottengesetz von 1898 und den Reaktionen der deutschen Sozialdemokratie beschäftigt. Gemeinsam mit Peter Brandt gab er ein „Preußen-Lesebuch“ heraus.[1]Peter Brandt/Reiner Zilkenat (Hrsg.): Preußen. Ein Lesebuch, Berlin 1981. Anlässlich der großen „Preußen-Ausstellung“ von August bis November 1981 und ihrer Präsentation in einer fünfbändigen Buchreihe arbeitete Reiner Zilkenat am dritten Band „Zur Sozialgeschichte eines Staates“ mit.[2]Preußen. Zu Sozialgeschichte eines Staates. Eine  Darstellung in Quellen.  Bearbeitet von Peter Brandt unter Mitwirkung von Thomas Hofmann und Reiner Zilkenat.  Preußen. Versuch … Continue reading1989 wurde er an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften bei ZK der SED promoviert. Sein Dissertationsthema war der Berliner Metallarbeiterstreik 1930 und die Gründung des Einheitsverbandes der Metallarbeiter Berlins.[3]Reiner Zilkenat: Der Berliner Metallarbeiterstreik 1930 und die Gründung des Einheitsverbandes der Metallarbeiter Berlins (EVMB). Berlin (DDR) 1989.Geschichte der Arbeiterbewegung einschließlich des Agierens ihrer Gegner war und blieb das bevorzugte Forschungsfeld des Historikers Zilkenat. Der Umbruch von 1989/1990 ließ ihn seine Positionen selbstkritisch überprüfen, aber nicht seine politischen und wissenschaftlichen Überzeugungen über Bord werfen. Im Laufe der Jahre hat er einen Forschungsertrag von bleibendem Wert zur Geschichte der Weimarer Republik und den Ursachen ihres Untergangs, zur Rolle ihrer rechtsextremen, rassistischen Totengräber, zum Antisemitismus und seinen verheerenden Folgen beigesteuert, häufig in polemischer Auseinandersetzung mit reaktionären Politikern und Historikern.[4]Vgl. Bruno Kuster/Reiner Zilkenat: Hitlerfaschismus geschlagen -die KPD lebt und kämpft, Berlin 1985; Reiner Zilkenat: Zur Einführung: Der Berliner Verkehrsarbeiterstreik und die politische … Continue reading Viele dieser Beiträge veröffentlichte er in der antifaschistischen Presse, sie sind auf unserer Webseite dokumentiert.[5]Siehe dazu http://www.fabgab.de/aufsaetzeundbeitraege/fabgab.html , Zugriff am 19. März 2020.Sein auf gründliches Archivstudium gestütztes Forschungsinteresse verband und verbindet sich nicht nur mit steter schriftlicher und mündlicher Popularisierung eines antifaschistischen Geschichtsbildes, sondern auch mit unmittelbarem persönlichen politischen Engagement, so zum Beispiel in der Bundes-Arbeitsgemeinschaft Antifaschismus der Partei DIE LINKE. Unermüdlich war Reiner als Referent unterwegs: Das Erinnern an die Katastrophe der jungen Demokratie von Weimar durch den Aufstieg des Nationalsozialismus war sein Hauptanliegen, sein Lebensthema. Gleichgesinnte Fachkolleginnen und Fachkollegen  brachte er zu wissenschaftlichen Konferenzen und Kolloquien zusammen. Häufig schrieb er für die „Junge Welt“ und andere linkssozialistische und marxistische Zeitungen und Zeitschriften, hielt Vorträge vor Vereinen oder bei der Seniorenakademie. Zuletzt galt seine Aktivität dem Gedenken an den Generalstreik der Arbeiterklasse gegen die Kapp-Lüttwitz-Putschisten im März 1920.

Es verdient höchsten Respekt, was Reiner Zilkenat neben seiner beruflichen Tätigkeit als Lehrer in der Erwachsenenbildung nicht nur auf dem Felde der Geschichtsforschung, sondern auch in seinen ehrenamtlichen Funktionen geleistet hat. Mit seiner am 21. Mai 2011 erfolgten Wahl zu unserem Vereinsvorsitzenden hat sich der Aktionsradius unseres Förderkreises spürbar verbreitert. Gut vernetzt, hat er weitere Kooperationspartner gewonnen, uns eine größere Öffentlichkeit erschlossen, als Herausgeber unserer „Mitteilungen“ für die Erweiterung ihres Umfangs und ihres Informationsgehaltes Sorge getragen und ergänzende selbständige Veröffentlichungen angeregt und realisiert. Besonders das Zusammenwirken mit dem Berlin-Brandenburger Bildungswerk e.V. ermöglichte die Durchführung gutbesuchter wissenschaftlicher Tagungen zu zentralen Themen beziehungsweise Jahrestagen – so zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, zum 90. Jahrestag der deutschen Novemberrevolution und zum 70. Jahrestag der doppelten deutschen Staatsgründung. Die Erträge dieser Veranstaltungen fanden ihren Niederschlag in der von Reiner Zilkenat und Marga Voigt herausgegebenen, im Verlag unseres Vereinsfreundes Marc Johne – edition bodoni – erscheinenden Schriftenreihe Zwischen Revolution und Kapitulation. Forum Perspektiven der Geschichte.[6]Henryk Skrzypczak: Als es „ums Ganze“ ging. Gewerkschaften zwischen Revolution und Kapitulation. 1918–1933. Neuruppin 2014; Rainer Holze/Marga Voigt (Hrsg.): 1945 – Eine „Stunde Null“ in … Continue reading Die Veröffentlichung des vierten Bandes dieser Reihe, hervorgegangen aus dem Symposium „Zweimal Deutschland“ vom 4. November 2019, konnte Reiner Zilkenat nicht mehr erleben.[7]Stefan Bollinger und Reiner Zilkenat (Hrsg.): Zweimal Deutschland. Soziale Politik in zwei deutschen Staaten – Herausforderungen, Gemeinsamkeiten, getrennte Wege, Neuruppin 2020.

Nach siebenjähriger erfolgreicher Tätigkeit als Vereinsvorsitzender sah sich Reiner Zilkenat im September 2018 gezwungen, sein Amt aus gesundheitlichen Gründen niederzulegen.  Das hinderte ihn nicht, weiter  der Demokratie und dem Antifaschismus zu dienen. Der Tod hat ihn mitten aus seiner Arbeit gerissen. Mit ihm verlieren nicht nur wir einen prägenden Freund und Mitstreiter, dessen Klugheit und Kreativität wir vermissen werden.

Prof. Dr. Günter Benser                                         Dr. Holger Czitrich-Stahl

(Vorsitzender 1992-2011)                                          (Vorsitzender seit Oktober 2018)


Filmografie:

Wer waren die Putschisten und ihre Hintermänner?

Wenige Tage vor dem Ableben von Reiner Zilkenat, gab er der Koordination “Unvollendete Revolution 1918/19” ein Interview. Dieses Interview wurde in Vorbereitung für die am 20. März 2022 stadtfindende Kundgebung: “100 Jahre Kapp-Putsch – 100 Jahre Generalstreik – Massenstreik gegen Faschismus und Militarismus” geführt.

Unser Webadministrator, Ingo Müller filmte das Interview am 20.02.2020.

Kamera, Ton und Bearbeitung: Ingo Müller rec: ingmue1957, 20.02.2020 im Auftrag für die Koordination “Unvollendete Revolution 1918/19”


Dr. Reiner Zilkenat über seine Zeit – ein Lebenslauf

“Dr. Reiner Zilkenat über seine Zeit – ein Lebenslauf” entstand 2009 im Zeitzeugenprojekt des Zeitgeschichtlichen Archivs unter Leitung von Margit Matthes und entspricht der DVD-Fassung ,die von Harald Wachowitz konzipiert und geschnitten wurde. Sie sollte ursprünglich anlässlich Reiners Beerdigung an die Trauergäste zur Erinnerung verschenkt werden, was wegen der bekannten Kontaktsperren ausfiel.

Eigentümer/Rechteinhaber: Berlin-Brandenburger Bildungswerk e.V.

Lizenz: Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen

References

References
1 Peter Brandt/Reiner Zilkenat (Hrsg.): Preußen. Ein Lesebuch, Berlin 1981.
2 Preußen. Zu Sozialgeschichte eines Staates. Eine  Darstellung in Quellen.  Bearbeitet von Peter Brandt unter Mitwirkung von Thomas Hofmann und Reiner Zilkenat.  Preußen. Versuch einer Bilanz,  Band 3, Reinbek bei Hamburg 1981.
3 Reiner Zilkenat: Der Berliner Metallarbeiterstreik 1930 und die Gründung des Einheitsverbandes der Metallarbeiter Berlins (EVMB). Berlin (DDR) 1989.
4 Vgl. Bruno Kuster/Reiner Zilkenat: Hitlerfaschismus geschlagen -die KPD lebt und kämpft, Berlin 1985; Reiner Zilkenat: Zur Einführung: Der Berliner Verkehrsarbeiterstreik und die politische Szenerie am Ende des Jahres 1932, in: Der Berliner Verkehrsarbeiterstreik 1932, Sonderheft 2012, herausgegeben vom Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Berlin 2012.
5 Siehe dazu http://www.fabgab.de/aufsaetzeundbeitraege/fabgab.html , Zugriff am 19. März 2020.
6 Henryk Skrzypczak: Als es „ums Ganze“ ging. Gewerkschaften zwischen Revolution und Kapitulation. 1918–1933. Neuruppin 2014; Rainer Holze/Marga Voigt (Hrsg.): 1945 – Eine „Stunde Null“ in den Köpfen? Zurgeistigen Situation in Deutschland nach der Befreiung vom Faschismus. Neuruppin 2016; Reiner Zilkenat (Hrsg.): „…alle Macht den Räten!“ Die deutsche Revolution 1918/19 und ihre Räte. Neuruppin 2018.
7 Stefan Bollinger und Reiner Zilkenat (Hrsg.): Zweimal Deutschland. Soziale Politik in zwei deutschen Staaten – Herausforderungen, Gemeinsamkeiten, getrennte Wege, Neuruppin 2020.

Nachruf Prof. Dr. Georg Ebert

26.1.1931-11.12.2020

Quelle: https://www.fr.de/politik/sagt-georg-ebert-11536315.html

Ebert in Berlin. Prof. Dr. Georg Ebert wurde am 26. Januar 1931 in Berlin als
zweiter Sohn in eine der jüngeren deutschen Geschichte eng verbundene Familie
hineingeboren. Sein Großvater war der Reichskanzler und Reichspräsident Friedrich Ebert. Sein Vater Friedrich Ebert jun. gehörte zu den sozialdemokratischen
Mitbegründern der SED am 22. April 1946 und amtierte von 1948-1967 als
Oberbürgermeister von Ost-Berlin bzw. Berlin (DDR). Über die Familiengeschichte der Eberts veröffentlichte Georg Ebert 2010 gemeinsam mit seiner Frau
Rosel das Buch „Friedrich Ebert: Lebensräume. Dezember 1905 – Oktober 1919“.
Er selbst blickte 2006 und 2013 autobiografisch zurück in den zwei Bänden „Im
Spannungsfeld zweier Welten“. Rosel Ebert gab im Jahr 2014 den Erinnerungsband „Friedrich Ebert jun. Briefwechsel mit seinem Sohn Georg 1943–1945, ergänzt durch Kindheitserinnerungen von Georg Ebert“ heraus.

Georg Ebert studierte von 1950 bis 1954 Wirtschaftswissenschaften an der
Berliner Humboldt-Universität und forschte von 1958-1962 in Moskau, wo er
auch promoviert wurde. Nach seiner Rückkehr nach Berlin (DDR) wurde er als
Ökonom an die Parteihochschule „Karl Marx“ der SED berufen, wo er von 1964
bis 1974 Stellvertretender Leiter des Lehrstuhls für „Politische Ökonomie des Sozialismus“ war. Danach übernahm er bis zur Liquidation der Akademie 1990 die Leitung dieses Lehrstuhls.


Am 6. März 1991 nahm Prof. Dr. Georg Ebert an der Gründungsversammlung
des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung
teil. Am 5. Dezember 2019 ernannte ihn der Vorstand zum Ehrenmitglied des
Förderkreises.


Holger Czitrich-Stahl

Nachruf Prof. Dr. Annelies Laschitza

6. Februar 1934 – 10. Dezember 1918

Foto: RLS

Annelies Laschitza bereitete sich vor, im Kreise ihrer Familie und ihrer Kollegen ihren 85. Geburtstag zu begehen. Sie wollte am 9. Januar des kommenden Jahres eine Gedenkveranstaltung anlässlich des 100. Todestages von Rosa Luxemburg mit gestalten – dazu wird es nun nicht mehr kommen. Wie erst diese Woche bekannt wurde, starb die Historikerin bereits am 10. Dezember.


Sie hinterlässt nicht zu schließende Lücken: Sowohl in der Forschung und Edition zu Leben und Werk Rosa Luxemburgs als auch zur Geschichte der deutschen Sozialdemokratie des 19. und beginnenden 20. Jahrhundert hat Laschitza Herausragendes geleistet. Es war ihr glücklicherweise vergönnt, mit dem Erscheinen der Bände sechs und sieben
der Rosa-Luxemburg-Werkausgabe (1993/2017) noch den Abschluss der Herausgabe aller deutschsprachigen Texte dieser weltweit verehrten Revolutionärin zu erleben – eine Aufgabe, der sie sich an der Spitze eines Kollektivs ein halbes Jahrhundert lang gewidmet hat. Um diese große, gegen so manche Widerstände vollbrachte Edition rankt sich eine Fülle begleitender Publikationen – besonders hervorzuheben ihre viel beachtete Rosa-Luxemburg-Biografie („Im Lebensrausch, trotz alledem“, 1996), die biografischen Publikationen über Rosa Luxemburgs Kampfgefährten (u.a. „Die Liebknechts. Karl und Sophie. Politik und Familie“, 2007) sowie die in dem von ihr geleiteten Arbeitskollektiv herausgegebene Edition von Reden und Schriften Karl Liebknechts. Es genügte ihr nicht, Manuskripte bei den Verlagen abzuliefern, sie war unentwegt aktiv, um ihre wissenschaftliche und politische Botschaft sei es mit Lesungen und Vorträgen, sei es als Beraterin für den Rosa Luxemburg-Film von Margarethe von Trotta (1986) unter die Leute zu bringen.

Es war kein leichter Weg, den Annelies Laschitza zurückzulegen hatte. Am 6.Februar 1934 in Leipzig geboren, hatte sie nach Besuch der Volks- und Hauptschule eine Lehre beim Rat der Stadt Leipzig angetreten. Anschließend war sie an verschiedenen Verwaltungsschulen zunächst als Studierende und bald als Lehrende tätig. Hier lernte sie auch ihren Ehemann Horst Laschitza kennen, der sich als Historiker der antifaschistischen Widerstandsbewegung einen Namen machte. Über eine Sonderreifeprüfung gelangte sie an die Leipziger Karl-Marx-Universität, wo sie 1954 bis 1958 Geschichte studierte. Ihre langjährige Arbeitsstätte wurde der Bereich Geschichte der Arbeiterbewegung am Institut für
Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED. Hier promovierte
und habilitierte sie sich. Unter ihrer Leitung wurde Band eins einer geplanten vierbändigen Geschichte der SED verfasst, dessen Rezeption leider im Strudel der „Wende“ unterging. Ihre wissenschaftliche Arbeit war stets verbunden mit ehrenamtlicher gesellschaftlicher Tätigkeit, so als Vizepräsidentin der Historikergesellschaft der DDR.
Annelies Laschitza gehörte zu jenen ostdeutschen Historikern und Historikerinnen, die während des Umbruchs Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre nicht in Panik oder Untätigkeit verfielen. Sie engagierte sich intensiv für eine kritische Bestandaufnahme der DDR Historiografie und für eine Neuprofilierung. Im Umfeld eines von ihr initiierten, unter Beteiligung internationaler Experten durchgeführten Rosa Luxemburg-Kolloquiums gründete sich der bis heute rührige „Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung“.
Ein wichtiges Wirkungsfeld wurde für sie die Internationale Rosa Luxemburg-Gesellschaft, deren Tagungen sie mitgeprägt hat. Es gibt wenige Frauen und Männer, die so viel Energie und hinreißenden Optimismus ausstrahlten wie Annelies. Und dies, obwohl sie ihre wissenschaftliche Arbeit als Mutter zweier Kinder zu bewältigen hatte,
obwohl ihr später die Pflege ihres an Parkinson erkrankten Ehegatten oblag.


Wer Rosa Luxemburgs gedenkt, wird sich auch an Annelies Laschitza bleibend erinnern.
Günter Benser
Nachdruck des Artikels „Zum Tod der großen Rosa-Luxemburg-Forscherin Annelies Laschitza“, in: Junge Welt, 19. Dezember 2018, Nr. 295.

Nachruf Heinrich Gemkow

 26. Juni 1928 in Stolp/Pommern; † 15. August 2017 in Berlin

In Heinrich Gemkow haben wir einen hervorragenden Kenner und Interpreten über Werk und Leben von Karl Marx und Friedrich Engels und auch über deren Verwandte und Freunde verloren.

Rolf Hecker, Berlin, Gemeinfrei, via Wikimedia Commons


Als stellvertretender Direktor des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, der er ab den 1960er Jahren bis 1990 war, fühlte er sich vor allem für die Marx-Engels-Edition und -Forschung verantwortlich. Zusammen mit den Mitarbeitern der Marx-Engels-Abteilung, des Archivs und der Bibliothek sorgt er umsichtig für das Auffinden wichtiger
Texte und publizierte selbst mit seriösen Einführungen wichtige Dokumente. Er engagierte sich für verständnisvolle und dauerhafte Verbindungen zu internationalen Forschern und Archivaren besonders in der Sowjetunion, in den Niederlanden und in Frankreich. Durch mehrere Publikationen über Marx und Engels setzte er mit großer Menschlichkeit
und hoher literarischer Qualität sehr beachtliche biografische Maßstäbe.


Als junge Mitarbeiterin führte er mich in den Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands ein. Dadurch erweiterte sich mein Wissen über die Kulturpolitik der DDR und deren Akteure aus unterschiedlichen Bevölkerungskreisen. Außerdem erhielt ich Einblick in die Entwicklung von Ortschroniken und in die Anfänge der Regionalgeschichte. Er
selbst gewann durch seine vielseitigen Kenntnisse und Interessen an Kunst und Literatur im Kulturbund sowie in der Pirckheimer-Gesellschaft wertvolle Anregungen und persönliche Kontakte. In diesem Sinne andere Menschen zu begeistern, darin bestand eine seiner großen Stärken. Indem er unter den Einflüssen von Marx und Engels und von weiteren
Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung, zum Beispiel von Paul Singer und August Bebel, stets auch die Verbindung von Theorie und Praxis im Auge hatte, setzte er sich für gründliche Kenntnisse über die Entwicklung und Zukunft der Arbeiterbewegung ein.

Er war ein sachkundiger Ratgeber und nachahmenswertes Vorbild für Vermittlung historischer
Kenntnisse und vermochte auf feinsinnige Art Vertrauen und Zuversicht zu wecken. Bis zuletzt meldete er sich mit quellen- und episodenreichen Beiträgen zu Wort. Und er unterzog sich der Mühe, Manuskripte seiner
Freunde kritisch durchzusehen und durch kluge Vorschläge verbessern zu helfen.
Achtungsvoll und stets erfreut verfolgte er neue Forschungs- und Publikationsergebnisse der Historiker aus seinem Freundeskreis, zu dem ich mich über 50 Jahre zählen durfte und bis zuletzt mich seiner freundlichen Zuvorkommenheit erfreute. Den von Eckhard Müller und mir herausgegebenen Band 7/1 und 7/2 der „Gesammelten Werke“ Rosa Luxemburgs, der im März 2017 erschienen ist, hat er herzlich begrüßt.


Annelies Laschitza

Nachruf: Theodor Bergmann

(7.3.1916-12.6.2017)

Am 12. Juni verstarb das älteste Mitglied des Förderkreises Archive und
Bibliotheken, Prof. Dr. Theodor Bergmann, im 102. Lebensjahr. Mit seinem Tod bricht die personelle Verbindung zur Arbeiterbewegung der Weimarer Republik ab, deren letzter Akteur und Zeitzeuge er war.

Theodor Bergmann an seinem 100. Geburtstag, März 2016 CC BY 3.0, Alexander Schlager (RLS)
Theodor Bergmann an seinem 100. Geburtstag, März 2016 CC BY 3.0, Alexander Schlager (RLS)

Geboren am 7. März 1916 in Berlin in der vielköpfigen Familie eines
Rabbiners, kam er 1929 zur kommunistischen Bewegung, aber nicht zur KPD. Stattdessen schloss er sich der Stalin-kritischen KPD-Opposition, der KPO, um Heinrich Brandler und August Thalheimer an. Dieser politischen Entscheidung ist er ein sehr langes Leben treu geblieben.
1933 musste der Siebzehnjährige ins Exil – Palästina, die Tschechoslowakei und Schweden hießen die Stationen. Das Leben war hart und gefahrvoll, zweimal entkam er den Nazihäschern nur sehr knapp. 1946
kehrte er nach Westdeutschland zurück. Ostdeutschland war für ihn keine Alternative. Politisch fand Theo Bergmann in der Gruppe „Arbeiterpolitik“, privat in seiner Genossin Gretel Steinhilber, die ebenfalls aus der KPO kam, seinen Halt.

Sein im Exil aufgenommenes und zwangsweise unterbrochenes Studium der Landwirtschaft schloss er 1947 in Bonn ab, aber an eine wissenschaftliche Laufbahn war noch lange nicht zu denken. Als ungelernter Arbeiter im Metallbetrieb, später unter anderem in der Landwirtschaftskammer Hannover, absolvierte er Promotion und Habilitation ohne größere Unterstützung fast „nebenbei“. Erst 1973 wurde er in Stuttgart-Hohenheim Professor für International vergleichende Agrarpolitik. 1981 trat er in den (Un-)Ruhestand.


Seitdem wurde die Geschichte und Politik der Arbeiterbewegung zu seinem Hauptforschungsfeld. Seine Geschichte der KPO, „Gegen den Strom“, 1987 zuerst und dann in mehreren erweiterten Auflagen erschienen, wurde ein Standardwerk. Er war, zusammen mit seinem Kollegen und Freund Gert Schäfer, Initiator einer Reihe internationaler Konferenzen zur Geschichte und zu aktuellen Problemen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Es begann mit Tagungen über Karl Marx und August Thalheimer 1983 und 1984 im Stuttgarter Raum und endete 2004 mit einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Gesellschaft im chinesischen Guangzhou/Kanton. Dazwischen lagen Konferenzen über Trotzki, Bucharin, Lenin, die russischen Revolutionen, Friedrich Engels. Über sechzig Bücher als Autor und Herausgeber sowie viele Hundert Aufsätze, die auf fünf Kontinenten erschienen, zeugen von Theo Bergmanns Schaffenskraft. Er war ein wahrer sozialistischer Weltbürger:
Theo Bergmann schrieb und dolmetschte in fünf Sprachen, las ein halbes Dutzend weitere. Auf eigene Kosten reiste er vierzehnmal nach China. Noch öfter bereiste er Israel, mehrmals auch Indien, Pakistan und viele weitere Länder.


Es nimmt nicht Wunder, dass die DDR seine Bücher zur Konterbande erklärte. Umso selbstverständlicher war es für ihn, ab 1990 auch solchen „abgewickelten“ DDR-Wissenschaftlern zur Seite zu stehen, die ihn einst als „Revisionisten“ hatten bekämpfen müssen. Er trat der PDS bei, leitete zeitweise ihren Landesverband Baden-Württemberg und
blieb bis zum Lebensende in der politischen Bildungsarbeit in der Partei und darüber hinaus aktiv. Besonders gern sprach er vor Schulklassen, die ihn auch oft einluden, denn ein solches Leben stieß bei den Nachgeborenen auf enormes Interesse. Aus seiner so reichen wissenschaftlichen wie politischen Hinterlassenschaft lässt sich weiterhin viel lernen.


Mario Kessler