Nachruf Prof. Dr. Annelies Laschitza

6. Februar 1934 – 10. Dezember 1918

Foto: RLS

Annelies Laschitza bereitete sich vor, im Kreise ihrer Familie und ihrer Kollegen ihren 85. Geburtstag zu begehen. Sie wollte am 9. Januar des kommenden Jahres eine Gedenkveranstaltung anlässlich des 100. Todestages von Rosa Luxemburg mit gestalten – dazu wird es nun nicht mehr kommen. Wie erst diese Woche bekannt wurde, starb die Historikerin bereits am 10. Dezember.


Sie hinterlässt nicht zu schließende Lücken: Sowohl in der Forschung und Edition zu Leben und Werk Rosa Luxemburgs als auch zur Geschichte der deutschen Sozialdemokratie des 19. und beginnenden 20. Jahrhundert hat Laschitza Herausragendes geleistet. Es war ihr glücklicherweise vergönnt, mit dem Erscheinen der Bände sechs und sieben
der Rosa-Luxemburg-Werkausgabe (1993/2017) noch den Abschluss der Herausgabe aller deutschsprachigen Texte dieser weltweit verehrten Revolutionärin zu erleben – eine Aufgabe, der sie sich an der Spitze eines Kollektivs ein halbes Jahrhundert lang gewidmet hat. Um diese große, gegen so manche Widerstände vollbrachte Edition rankt sich eine Fülle begleitender Publikationen – besonders hervorzuheben ihre viel beachtete Rosa-Luxemburg-Biografie („Im Lebensrausch, trotz alledem“, 1996), die biografischen Publikationen über Rosa Luxemburgs Kampfgefährten (u.a. „Die Liebknechts. Karl und Sophie. Politik und Familie“, 2007) sowie die in dem von ihr geleiteten Arbeitskollektiv herausgegebene Edition von Reden und Schriften Karl Liebknechts. Es genügte ihr nicht, Manuskripte bei den Verlagen abzuliefern, sie war unentwegt aktiv, um ihre wissenschaftliche und politische Botschaft sei es mit Lesungen und Vorträgen, sei es als Beraterin für den Rosa Luxemburg-Film von Margarethe von Trotta (1986) unter die Leute zu bringen.

Es war kein leichter Weg, den Annelies Laschitza zurückzulegen hatte. Am 6.Februar 1934 in Leipzig geboren, hatte sie nach Besuch der Volks- und Hauptschule eine Lehre beim Rat der Stadt Leipzig angetreten. Anschließend war sie an verschiedenen Verwaltungsschulen zunächst als Studierende und bald als Lehrende tätig. Hier lernte sie auch ihren Ehemann Horst Laschitza kennen, der sich als Historiker der antifaschistischen Widerstandsbewegung einen Namen machte. Über eine Sonderreifeprüfung gelangte sie an die Leipziger Karl-Marx-Universität, wo sie 1954 bis 1958 Geschichte studierte. Ihre langjährige Arbeitsstätte wurde der Bereich Geschichte der Arbeiterbewegung am Institut für
Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED. Hier promovierte
und habilitierte sie sich. Unter ihrer Leitung wurde Band eins einer geplanten vierbändigen Geschichte der SED verfasst, dessen Rezeption leider im Strudel der „Wende“ unterging. Ihre wissenschaftliche Arbeit war stets verbunden mit ehrenamtlicher gesellschaftlicher Tätigkeit, so als Vizepräsidentin der Historikergesellschaft der DDR.
Annelies Laschitza gehörte zu jenen ostdeutschen Historikern und Historikerinnen, die während des Umbruchs Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre nicht in Panik oder Untätigkeit verfielen. Sie engagierte sich intensiv für eine kritische Bestandaufnahme der DDR Historiografie und für eine Neuprofilierung. Im Umfeld eines von ihr initiierten, unter Beteiligung internationaler Experten durchgeführten Rosa Luxemburg-Kolloquiums gründete sich der bis heute rührige „Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung“.
Ein wichtiges Wirkungsfeld wurde für sie die Internationale Rosa Luxemburg-Gesellschaft, deren Tagungen sie mitgeprägt hat. Es gibt wenige Frauen und Männer, die so viel Energie und hinreißenden Optimismus ausstrahlten wie Annelies. Und dies, obwohl sie ihre wissenschaftliche Arbeit als Mutter zweier Kinder zu bewältigen hatte,
obwohl ihr später die Pflege ihres an Parkinson erkrankten Ehegatten oblag.


Wer Rosa Luxemburgs gedenkt, wird sich auch an Annelies Laschitza bleibend erinnern.
Günter Benser
Nachdruck des Artikels „Zum Tod der großen Rosa-Luxemburg-Forscherin Annelies Laschitza“, in: Junge Welt, 19. Dezember 2018, Nr. 295.

Nachruf Heinrich Gemkow

 26. Juni 1928 in Stolp/Pommern; † 15. August 2017 in Berlin

In Heinrich Gemkow haben wir einen hervorragenden Kenner und Interpreten über Werk und Leben von Karl Marx und Friedrich Engels und auch über deren Verwandte und Freunde verloren.

Rolf Hecker, Berlin, Gemeinfrei, via Wikimedia Commons


Als stellvertretender Direktor des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, der er ab den 1960er Jahren bis 1990 war, fühlte er sich vor allem für die Marx-Engels-Edition und -Forschung verantwortlich. Zusammen mit den Mitarbeitern der Marx-Engels-Abteilung, des Archivs und der Bibliothek sorgt er umsichtig für das Auffinden wichtiger
Texte und publizierte selbst mit seriösen Einführungen wichtige Dokumente. Er engagierte sich für verständnisvolle und dauerhafte Verbindungen zu internationalen Forschern und Archivaren besonders in der Sowjetunion, in den Niederlanden und in Frankreich. Durch mehrere Publikationen über Marx und Engels setzte er mit großer Menschlichkeit
und hoher literarischer Qualität sehr beachtliche biografische Maßstäbe.


Als junge Mitarbeiterin führte er mich in den Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands ein. Dadurch erweiterte sich mein Wissen über die Kulturpolitik der DDR und deren Akteure aus unterschiedlichen Bevölkerungskreisen. Außerdem erhielt ich Einblick in die Entwicklung von Ortschroniken und in die Anfänge der Regionalgeschichte. Er
selbst gewann durch seine vielseitigen Kenntnisse und Interessen an Kunst und Literatur im Kulturbund sowie in der Pirckheimer-Gesellschaft wertvolle Anregungen und persönliche Kontakte. In diesem Sinne andere Menschen zu begeistern, darin bestand eine seiner großen Stärken. Indem er unter den Einflüssen von Marx und Engels und von weiteren
Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung, zum Beispiel von Paul Singer und August Bebel, stets auch die Verbindung von Theorie und Praxis im Auge hatte, setzte er sich für gründliche Kenntnisse über die Entwicklung und Zukunft der Arbeiterbewegung ein.

Er war ein sachkundiger Ratgeber und nachahmenswertes Vorbild für Vermittlung historischer
Kenntnisse und vermochte auf feinsinnige Art Vertrauen und Zuversicht zu wecken. Bis zuletzt meldete er sich mit quellen- und episodenreichen Beiträgen zu Wort. Und er unterzog sich der Mühe, Manuskripte seiner
Freunde kritisch durchzusehen und durch kluge Vorschläge verbessern zu helfen.
Achtungsvoll und stets erfreut verfolgte er neue Forschungs- und Publikationsergebnisse der Historiker aus seinem Freundeskreis, zu dem ich mich über 50 Jahre zählen durfte und bis zuletzt mich seiner freundlichen Zuvorkommenheit erfreute. Den von Eckhard Müller und mir herausgegebenen Band 7/1 und 7/2 der „Gesammelten Werke“ Rosa Luxemburgs, der im März 2017 erschienen ist, hat er herzlich begrüßt.


Annelies Laschitza

Nachruf: Theodor Bergmann

(7.3.1916-12.6.2017)

Am 12. Juni verstarb das älteste Mitglied des Förderkreises Archive und
Bibliotheken, Prof. Dr. Theodor Bergmann, im 102. Lebensjahr. Mit seinem Tod bricht die personelle Verbindung zur Arbeiterbewegung der Weimarer Republik ab, deren letzter Akteur und Zeitzeuge er war.

Theodor Bergmann an seinem 100. Geburtstag, März 2016 CC BY 3.0, Alexander Schlager (RLS)
Theodor Bergmann an seinem 100. Geburtstag, März 2016 CC BY 3.0, Alexander Schlager (RLS)

Geboren am 7. März 1916 in Berlin in der vielköpfigen Familie eines
Rabbiners, kam er 1929 zur kommunistischen Bewegung, aber nicht zur KPD. Stattdessen schloss er sich der Stalin-kritischen KPD-Opposition, der KPO, um Heinrich Brandler und August Thalheimer an. Dieser politischen Entscheidung ist er ein sehr langes Leben treu geblieben.
1933 musste der Siebzehnjährige ins Exil – Palästina, die Tschechoslowakei und Schweden hießen die Stationen. Das Leben war hart und gefahrvoll, zweimal entkam er den Nazihäschern nur sehr knapp. 1946
kehrte er nach Westdeutschland zurück. Ostdeutschland war für ihn keine Alternative. Politisch fand Theo Bergmann in der Gruppe „Arbeiterpolitik“, privat in seiner Genossin Gretel Steinhilber, die ebenfalls aus der KPO kam, seinen Halt.

Sein im Exil aufgenommenes und zwangsweise unterbrochenes Studium der Landwirtschaft schloss er 1947 in Bonn ab, aber an eine wissenschaftliche Laufbahn war noch lange nicht zu denken. Als ungelernter Arbeiter im Metallbetrieb, später unter anderem in der Landwirtschaftskammer Hannover, absolvierte er Promotion und Habilitation ohne größere Unterstützung fast „nebenbei“. Erst 1973 wurde er in Stuttgart-Hohenheim Professor für International vergleichende Agrarpolitik. 1981 trat er in den (Un-)Ruhestand.


Seitdem wurde die Geschichte und Politik der Arbeiterbewegung zu seinem Hauptforschungsfeld. Seine Geschichte der KPO, „Gegen den Strom“, 1987 zuerst und dann in mehreren erweiterten Auflagen erschienen, wurde ein Standardwerk. Er war, zusammen mit seinem Kollegen und Freund Gert Schäfer, Initiator einer Reihe internationaler Konferenzen zur Geschichte und zu aktuellen Problemen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Es begann mit Tagungen über Karl Marx und August Thalheimer 1983 und 1984 im Stuttgarter Raum und endete 2004 mit einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Gesellschaft im chinesischen Guangzhou/Kanton. Dazwischen lagen Konferenzen über Trotzki, Bucharin, Lenin, die russischen Revolutionen, Friedrich Engels. Über sechzig Bücher als Autor und Herausgeber sowie viele Hundert Aufsätze, die auf fünf Kontinenten erschienen, zeugen von Theo Bergmanns Schaffenskraft. Er war ein wahrer sozialistischer Weltbürger:
Theo Bergmann schrieb und dolmetschte in fünf Sprachen, las ein halbes Dutzend weitere. Auf eigene Kosten reiste er vierzehnmal nach China. Noch öfter bereiste er Israel, mehrmals auch Indien, Pakistan und viele weitere Länder.


Es nimmt nicht Wunder, dass die DDR seine Bücher zur Konterbande erklärte. Umso selbstverständlicher war es für ihn, ab 1990 auch solchen „abgewickelten“ DDR-Wissenschaftlern zur Seite zu stehen, die ihn einst als „Revisionisten“ hatten bekämpfen müssen. Er trat der PDS bei, leitete zeitweise ihren Landesverband Baden-Württemberg und
blieb bis zum Lebensende in der politischen Bildungsarbeit in der Partei und darüber hinaus aktiv. Besonders gern sprach er vor Schulklassen, die ihn auch oft einluden, denn ein solches Leben stieß bei den Nachgeborenen auf enormes Interesse. Aus seiner so reichen wissenschaftlichen wie politischen Hinterlassenschaft lässt sich weiterhin viel lernen.


Mario Kessler