Jörg Wollenberg
Der Kalte Krieg begann schon vor dem 8.Mai 1945
Das Kriegsende und seine verdrängten Folgen vor 80 Jahren nicht nur in Lübeck und Holstein
„Bring the Jews last“ (Bosse Lindquist, 1998)
Wenige Tage vor der Kapitulation der NS-Reichsregierung verhandelte Reichsführer SS Heinrich Himmler am 24 April 1945 in Lübeck über einen Separatfrieden mit den Westmächten. Es war das 4. Geheimgespräch mit dem schwedischen Grafen Folke Bernadotte, das in der Eschenburgstraße 7 von Lübeck stattfand und noch einmal zur Rettung von westjüdischen Häftlingen beitrug.
Diese Rettungsaktion mit Bussen und Lastwagen des schwedischen Roten Kreuzes vollzog sich vor den Augen der Bürger in Ostholstein und Lübeck. Auch ich erinnere mich als damals achtjähriger Schüler an die zahlreichen Busse und teilweise offenen Lastwagen, die im April 1945 mehrmals vollbesetzt mit KZ-Häftlingen mitten durch Ahrensbök in Richtung Lübeck oder Plön geleitet wurden. Ein Vorfall, der sich in meinem Gedächtnis ebenso einprägte, wie die ebenfalls erlebte letzte Etappe von zwei Evakuierungs- und Todesmärschen der Häftlinge aus Auschwitz-Fürstengrube und Dora, die vom 12. auf den 13. April 1945 auf dem Weg von Lübeck über Rensefeld, Curau und Ahrensbök in Sarau (Gut Glasau) und in der Feldscheune zwischen Barghorst und Siblin endeten -ohne Wasseranschluss und sanitäre Anlagen. Die Ereignisse verbinden sich in meiner Erinnerung mit der damals in der Bevölkerung und der Wehrmacht immer noch weitverbreiteten Hoffnung, es könne gelingen, die Anti- Hitler- Koalition zu spalten, um über einen Separatfrieden mit den Westalliierten weiter gen Osten gegen die russischen Truppen zu marschieren. Graf Folke Bernadotte war dafür ab Februar/März 1945 der Gesprächspartner von Himmler, um den Kontakt zu den Westalliierten herzustellen. Als Gegenleistung forderte der damalige Vizepräsident des schwedischen Roten Kreuzes, skandinavische Gefangene und Häftlinge in Deutschland im dafür eigens eingerichteten „Skandinavien Lager“ des KZ Neuengamme zu sammeln und vom schwedischen Personal (250 Ärzte und Sanitäter) betreuen zu lassen, bevor sie im März und April 1945 über das Lager Padborg nahe der deutsch-dänischen Grenze mit den Weißen Bussen des Roten Kreuzes die Freiheit in Dänemark und Schweden erlangten.
Das Mahnmal in der Dortmunder Bittermark
Der nachfolgende Beitrag zur Gedenkstätte Bittermark in Dortmund konnte nicht mehr ins Heft 61 aufgenommen werden. Aus Aktualitätsgründen ist er nun auf unserer Webseite vorab veröffentlicht. Wir danken für den überaus lesenswerten Beitrag.
In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs erschoss die Dortmunder Gestapo vor ihrem Rückzug aus der Stadt noch mehr als 200 Menschen. Nachdem man bereits zuvor osteuropäische Zwangsarbeiter*innen eigenständig exekutiert hatte, stiegen die Zahlen der Opfer mit den sich nähernden Fronten und vor allem einem steigenden Kontrollverlust des deutschen Sicherheitsapparates immer mehr an. Sie wurden zuletzt nicht mehr zur Exekution in ein KZ überstellt, sondern direkt vor Ort erschossen. Nach einer ersten Massenexekution am 4. Februar 1945 in der Nähe von Lüdenscheid ermordeten Gestapo-Beamte in der Dortmunder Bittermark zwischen dem 7. und dem 24. März auf beziehungsweise in der Nähe der „Spielwiese“ im Rahmen von drei weiteren Massakern 75 Menschen.