Vortrag zur Geschichte des ökologischen Landbaus im Beginenhof Kreuzberg

Der Geschichtssalon im Kreuzberger Beginenhof, einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt für Frauen und (wenige) Männer besteht seit 2007. Als eine der ältesten Hausbewohnerinnen lade ich dazu ein. Absichtlich nenne ich die Veranstaltung Geschichtssalon und nicht historischer Salon, weil es nicht nur um Geschichte, sondern auch um Geschichten geht. Es gab bereits zahlreiche Salons zu aktuellen und historischen Themen. Der Salon findet weiter regelmäßig in unregelmäßigen Abständen statt. Er ist ein Beitrag zum politischen Programm des Hauses für die Bewohner:innen, und für die anderen beiden Beginenprojekte in Berlin. Vor allem aber soll er die Menschen, die drinnen wohnen mit den Menschen von „außerhalb“, also aus dem Kiez und dem Rest von Berlin in Beziehung bringen, damit wir hier nicht nur im eigenen Saft schmoren und auf dem eigenen roten Sofa sitzen.

Am Donnerstag, dem 21. Juli 2022 ging es im Geschichtssalon um das Thema „Passion und Profession. Pionierinnen des ökologischen Landbaus“. Aus Tirol angereist kam die Agrar- und Sozialwissenschaftlerin

Mathilde Schmitt, die gemeinsam mit Heide Inhetveen und Ira Spieker ein Buch mit dem gleichen Titel geschrieben hat. Nach einer Einführung über die Geschichte des ökologischen Landbaus und seiner Wegbereiterinnen stellte Mathilde uns einige Lebensgeschichten der 51 im Buch aufgeführten Pionierinnen vor. Deutlich wurde durch ihren Vortrag vor allem, dass der ökologische Landbau keinesfalls heute oder in den 1970er Jahren erfunden worden ist, sondern dass er eine lange Tradition hat. Auch wurde mit dem Mythos aufgeräumt, dass die Geschichte diejenige ist, die ausschließlich „große Männer“ geschrieben haben.

Auch wenn sie heute zu Unrecht vergessen sind, so haben Pionierinnen wie Mina Hofstetter, Lili Kolisko, Gabrielle Howard, die Bodenexpertin Uta Lübke

die Bodenexpertin Uta Lübke. Photo: Angelika Lübke-Hildebrandt

und die Wurzelforscherin Lore Kutschera sowie die Schulgründerinnen von Hünibach: Gertrud Neuenschwander, Ruth Pfisterer und Hedwig Müller

die Schulgründerinnen von Hünibach. Auf dem Foto von links nach rechts sind zu sehen: Gertrud Neuenschwander (li), Ruth Pfisterer (Mitte) und Hedwig Müller (re). Photo: Gartenbauschule Hünibach, Schweiz.

einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung und Verbreitung einer alternativen Landwirtschaft. Schließlich forschten und experimentierten sie mit Leidenschaft. Sie und etliche andere publizierten, gründeten Schulen und brachten die biologische Landwirtschaft wie wir sie heute kennen, voran. Das Rad muss also nicht neu erfunden werden.

Mathilde Schmitt nahm uns mit auf die Reise durch die Frauengeschichte und ließ uns an ihren interessanten Forschungen teilhaben. Leicht hatten es auch die Pionierinnen aus dem europäischen Raum nicht immer.

Etliche erlebten zwei schrecklich Weltkriege und den Verlust von Beziehungspersonen, Inflation und Wirtschaftskrisen. Auch nach Niederlagen kämpften sie weiter für eine andere Landwirtschaft, eine andere Gesellschaft: „Für eine Zukunft ohne Not“, wie Annie Francé Harrar im Interview versichert hatte.

Gisela Notz ; 06.08.2022