Intensiv und würdevoll – Ehrensymposium für Dr. Reiner Zilkenat (1950-2020) am 12. November 2022: „Kein Schlussstrich! Der Aufstieg des deutschen Faschismus und der antifaschistische Widerstand“.
Am 26. Februar 2020 verstarb der langjährige Vorsitzende des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung e. V., Dr. Reiner Zilkenat vor Vollendung seines 70. Lebensjahres. Der Gedanke eines Ehrensymposiums zu seinem Andenken sei schon früh erörtert worden, so der aktuelle Vorsitzende Dr. Holger Czitrich-Stahl, fiel aber immer wieder den Corona-Restriktionen zum Opfer. In seiner Begrüßung erinnerte er an die Leistung seines Vorgängers für den Verein und für die politische und historische Bildung. Fast sechzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren gekommen und diskutierten eifrig mit, das Ambiente der Bibliothek der Rosa-Luxemburg-Stiftung bot eine angenehme Umgebung.
Die stellvertretende Vereinsvorsitzende Dr. Elke Reuter moderierte die Veranstaltung und stellte die Vortragenden dem Publikum vor.
Prof. Dr. Günter Benser erinnerte an die Vereinsgründung und an seinen eigenen Vorgänger Dr. Henryk Skrzypczak. Auf Benser selbst folgte Reiner Zilkenat, dessen Leistungen Benser in dieser Funktion würdigte.
Prof. Dr. Peter Brandt hatte in den 1980er Jahren mit Zilkenat kooperiert, er befasste sich mit der Verantwortung der Hohenzollern, besonders des Kronprinzen Wilhelm, für das Zustandekommen der Koalition aus Konservativen, Monarchisten und Nazis am 30. Januar 1933. Eine beträchtliche Verantwortung für dieses Verhängnis sei der ehemaligen Kaiserdynastie nicht abzunehmen, von daher käme eine Entschädigung der Hohenzollern, so wie es es forderten, nicht in Frage.
Der Rechtsanwalt Benedikt Hopmann berichtete dem Plenum über seine positiven Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit dem Verstorbenen und sprach über den politischen Streik anlässlich des Mordes an Außenminister Walther Rathenau am 24. Juni 1922. Die Justiz und die Konservativen hätten es schon damals verstanden, der Arbeiterbewegung die Instrumente zur wirklichen Demokratisierung zu entwinden und stattdessen die Restauration zu betreiben.
Nach einer kurzen Pause referierte Dr. Holger Czitrich-Stahl über den Konservatismus in der Weimarer Republik und über dessen Anteil an der Katastrophe der NS-Diktatur als Stichwortgeber, Wegbereiter und Steigbügelhalter der Nazis. Gerade der sog. Jungkonservatismus wies ideologisch vergleichbare Züge auf wie der Faschismus in Italien und Deutschland.
Dr. Stefan Heinz erinnerte sich, wie er die Bekanntschaft Reiner Zilkenats machte. Anschließend erläuterte er dessen Dissertation über den Berliner Metallarbeiterstreik und die Gründung des Einheitsverbandes der Metallarbeiter Berlins.
Auf die Diskussion folgte abermals eine Pause, nach deren Ende Elke Reuter Dr. Stefan Bollinger begrüßte. Dieser präsentierte seine Gedanken zur Frage der Entstehung,Vorbereitung und Legitimierung von Kriegen, woran auch Reiner Zilkenat gearbeitet hatte. Zwei Beiträge Zilkenats über die deutschen Kriegsziele im Ersten Weltkrieg waren unmittelbar vorher von der „Jungen Welt“ publiziert worden.
Dr. Harald Wachowitz und Reiner Zilkenat haben über viele Jahre gemeinsam Veranstaltungen organisiert und politische Bildungsarbeit betrieben. An diesen Projekten und am Zustandekommen des Gedenkbandes, herausgegeben von Yves Müller, ließ er die Gäste teilhaben.
Sehr emotional und ergreifend gedachte Simona Schubertova, die Lebensgefährtin Zilkenats, des verstorbenen Partners und erwähnte einige persönliche Facetten und Vorlieben, die nicht allen bekannt gewesen sein dürften.
Nach diesem bewegenden Beitrag auf einem intensiven und würdevoll gedenkenden Symposium schloss Czitrich-Stahl die Veranstaltung aus der heraus es eine Publikation geben wird.
Am 10. September 2022 fand die 31. Jahresmitgliederversammlung des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung e. V. im ND-Bürogebäude, Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin statt.
Traditionell wurde vorher ein öffentlicher wissenschaftlicher Vortrag organisiert. Dieses Mal sprach Christoph Stamm (Berlin), Politikwissenschaftler, Archivwissenschaftler und ehemaliger Redakteur der Deutschen Welle zu den Vereinsmitgliedern und Gästen.
Sein Thema lautete: “Das Tauziehen um die SED-Akten. Die Auseinandersetzungen um das Zentrale Parteiarchiv der SED seit 1990”. Christoph Stamm beleuchtete eindruckvoll und quellengesättigt den schwierigen und politisch konflikthaften Prozess des Umgangs mit den Archiven der SED nach der “Wende” in der DDR und in der Phase nach der staatlichen Einheit nach dem 3. Oktober 1990. Dabei erinnerte er auch die Sicherung der Einheit der Akten des Zentralen Parteiarchivs und ihrer öffentlichen Zugänglichkeit ohne Sperrfrist in der Stiftung Archive der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO), an das Schicksal des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung, aus dem heraus auch die Gründung des Förderkreises hervorging, und an die höchst problematische Rolle der Treuhandanstalt.
Der Geschichtssalon im Kreuzberger Beginenhof, einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt für Frauen und (wenige) Männer besteht seit 2007. Als eine der ältesten Hausbewohnerinnen lade ich dazu ein. Absichtlich nenne ich die Veranstaltung Geschichtssalon und nicht historischer Salon, weil es nicht nur um Geschichte, sondern auch um Geschichten geht. Es gab bereits zahlreiche Salons zu aktuellen und historischen Themen. Der Salon findet weiter regelmäßig in unregelmäßigen Abständen statt. Er ist ein Beitrag zum politischen Programm des Hauses für die Bewohner:innen, und für die anderen beiden Beginenprojekte in Berlin. Vor allem aber soll er die Menschen, die drinnen wohnen mit den Menschen von „außerhalb“, also aus dem Kiez und dem Rest von Berlin in Beziehung bringen, damit wir hier nicht nur im eigenen Saft schmoren und auf dem eigenen roten Sofa sitzen.
Am Donnerstag, dem 21. Juli 2022 ging es im Geschichtssalon um das Thema „Passion und Profession. Pionierinnen des ökologischen Landbaus“. Aus Tirol angereist kam die Agrar- und Sozialwissenschaftlerin
Mathilde Schmitt, die gemeinsam mit Heide Inhetveen und Ira Spieker ein Buch mit dem gleichen Titel geschrieben hat. Nach einer Einführung über die Geschichte des ökologischen Landbaus und seiner Wegbereiterinnen stellte Mathilde uns einige Lebensgeschichten der 51 im Buch aufgeführten Pionierinnen vor. Deutlich wurde durch ihren Vortrag vor allem, dass der ökologische Landbau keinesfalls heute oder in den 1970er Jahren erfunden worden ist, sondern dass er eine lange Tradition hat. Auch wurde mit dem Mythos aufgeräumt, dass die Geschichte diejenige ist, die ausschließlich „große Männer“ geschrieben haben.
Auch wenn sie heute zu Unrecht vergessen sind, so haben Pionierinnen wie Mina Hofstetter, Lili Kolisko, Gabrielle Howard, die Bodenexpertin Uta Lübke
die Bodenexpertin Uta Lübke. Photo: Angelika Lübke-Hildebrandt
und die Wurzelforscherin Lore Kutschera sowie die Schulgründerinnen von Hünibach: Gertrud Neuenschwander, Ruth Pfisterer und Hedwig Müller
die Schulgründerinnen von Hünibach. Auf dem Foto von links nach rechts sind zu sehen: Gertrud Neuenschwander (li), Ruth Pfisterer (Mitte) und Hedwig Müller (re). Photo: Gartenbauschule Hünibach, Schweiz.
einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung und Verbreitung einer alternativen Landwirtschaft. Schließlich forschten und experimentierten sie mit Leidenschaft. Sie und etliche andere publizierten, gründeten Schulen und brachten die biologische Landwirtschaft wie wir sie heute kennen, voran. Das Rad muss also nicht neu erfunden werden.
Mathilde Schmitt nahm uns mit auf die Reise durch die Frauengeschichte und ließ uns an ihren interessanten Forschungen teilhaben. Leicht hatten es auch die Pionierinnen aus dem europäischen Raum nicht immer.
Etliche erlebten zwei schrecklich Weltkriege und den Verlust von Beziehungspersonen, Inflation und Wirtschaftskrisen. Auch nach Niederlagen kämpften sie weiter für eine andere Landwirtschaft, eine andere Gesellschaft: „Für eine Zukunft ohne Not“, wie Annie Francé Harrar im Interview versichert hatte.